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Mittwoch, 15. Mai 2013

And I would walk 500 miles...

Als ich heut Nacht aufwachte, tobte das Unwetter. Regen prasselte gegen meine Scheibe, der Wind heulte durch den Kamin und Äste schlugen gegen die Rollkästen. Eingekuschelt in meine dicke Decke hoffte ich, dass alles vorbei sein würde, bis ich aufstehen müsste. Als ich mich dann um 7 aus dem Bett quälte, war mein erster Blick vorsichtig durch die schweren blauen Vorhänge vor meinem Fenster nach draußen. Und was ich sah, lies mich ernsthaft überlegen, ob ich heute nicht krank sein sollte - denn wenn ich mich wirklich rauswagen würde, käme das einem grippalen Erstschlag gegen meinen Körper gleich. Aber da ich zwar zuckersüß, aber nicht aus Zucker bin, wagte ich mich mit meinem deutschen Miniknirpsschirm in das englische Unwetter. Der Himmel war mit dicken, fast schwarzen Regenwolken verhangen und ich hatte noch nicht den Schirm aufgespannt, als mich der erste Regenschauer erfasste. Fluchend stemmte ich mich also gegen den Wind, der sich seit nachts immer noch nicht gelegt hatte und öffnete den Schirm. Schlechte Idee. So, wie es bei Mikrofonen und überdrehter Lautstärke eine schmerzhafte Rückkopplung gibt, gab es bei meinem Schirm und diesem Wind ebenfalls eine. Und die war mindestens genau so schmerzhaft. Mein hübscher Schirm, einmal umgedreht, flatterte mich traurig an, bis ich ihn wieder in die richtige Richtung gebogen hatte und gemeinsam machten wir uns auf den beschwerlichen Weg zum Bahnhof. Unterwegs wurde die Gefahr, von einer plötzlichen Windböe in die nächste Pfütze befördert zu werden, immer größer. Meine eigentlich atmungsaktiven Turnschuhe bekamen vor lauter Wasser keine Luft mehr und auch meine Hose schloss sich munter der Bekanntschaft mit dem von allen Seiten kommenden Wasser an. Tropfnass am Bahnhof angekommen, schüttelte ich meinen Schirm aus wie ein Hund der direkt aus dem See kommt. Nach einem kurzen Überblick meiner Kleidung stand fest - im Zug konnte es gar nicht warm genug sein, um mich wieder trocknen zu lassen. Auf der knapp zwanzig Minuten dauernden Fahrt versuchte ich dann auch, meine Tasche zu trocknen und dem Gesumme um mich herum zu lauschen - bis das Gesumme zum Getöse wurde, als ich in Liverpool Central ausstieg und sehen musste, dass hier ganze Wassermassen aus dem Himmel kamen. Herzlichen Dank auch. Im Bahnhof selbst wurde durchgesagt, dass aufgrund der Wetterverhältnisse keine Taxen mehr zur Verfügung stehen würden, und die Wartezeit bis zu einer halben Stunde betrüge. Da ich aber sowieso nicht vorhatte, Taxi zu fahren (kostet schließlich alles Geld) machte ich mich voller Hoffnung auf den Weg, den Hügel hinauf. Ich war ungefähr zehn Minuten gelaufen, als ich in die erste Pfütze gedrückt wurde - und damit auch das erste Wasser sich den Weg in meine Schuhe und meine Socken bahnen konnte. Mit einem netten Quietschgeräusch bei jedem Schritt lief ich also immer schneller durch die Straßen - wich an mir vorbei rennenden Menschen aus, die im Gegensatz zu mir kein bisschen nass waren. Muss wohl an den überdimensionalen Regenschirmen gelegen haben, den alle Engländer besitzen. Jetzt weiß ich auch, warum. Als ich dann endlich in der Bibliothek der Harold Cohen ankam, wo ich meinen Tag in der Fernleihabteilung verbringen würde, wurde ich erst einmal mitfühlend beobachtet. Die arme Deutsche, die mit ihrem Minischirm einem englischen Unwetter trotzte - und verloren hatte. Auf Vorschlag meiner heutigen Kollegen zog ich Schuhe und Socken aus - die mittlerweile sogar an den Fersen durchnässt waren - und legte beides auf die Heizung, die extra für mich hochgedreht wurde. Ungefähr zwei Stunden und zehn beinahe erfrorene Zehen später, zog ich beides dann wieder an und freute mich einen kurzen Moment über die kuschelige Wärme an meinen Füßen - bis ich merkte, dass die Schuhe immer noch nass waren, und das Spiel wieder von vorne begonnen hatte. In der Fernleihabteilung lernte ich, dass es hier so viel mehr Arbeit gibt als zu Hause. Für die University of Liverpool gibt es trotz mehrerer Bibliotheken nur eine Fernleihabteilung mit Sitz in der Harold Cohen. ich durfte also die eingehenden Bestellungen bearbeiten und eigenständig die gewünschten Bücher aus den Regalen ziehen, und die benötigten Seiten kopieren. Hier hält man sich übrigens strengstens an das Copyright, sodass sogar die Studenten auf der Rückseite der Fernleihformulare eine Erklärung unterschreiben müssen, dass sie die benötigten Seiten nur für persönliche Zwecke benutzen würden. Auch dürfen nicht mehr wie zehn Prozent eines Buches kopiert/ gescannt etc. werden... Die kopierten Aufsätze wurden dann eingescannt und per E-Mail verschickt, die ganzen Bücher wurden in Pakete verpackt und dem hauseigenen Kurier übergeben, der alle Fernleihbestellungen nach London in die British Library bringt - von dort kommen auch die meisten Fernleihbücher, denn alle Bestellungen, Kosten etc. läuft über sie. Danach wurden wieder Bücher und Aufsätze gewünscht, die ich zuerst im hauseigenen Katalog finden musste, ob wir sie auch tatsächlich haben. Nach einer Mittagspause kam ich dann mit Schokokeksen zurück über die sich die beiden Frauen gefreut haben - Schokolade hilft eben auch gegen das mieseste Wetter aller Zeiten. Dann ging es erneut daran, über verschiedene Kataloge (u.a. auch den KVK!!!) die Bücher zu suchen, die unsere Studenten bestellen wollten. Hier gibt es ein ganz interessantes System. Man muss zuerst den Titel in dem Katalog (COPAC genannt) eingeben, in dem alle englischen Bibliotheken verzeichnet sind (und auch Schottland, Irland etc.) und dann sieht man, welche Bibliotheken dran hängen. Anstatt allerdings eine davon anzuklicken und zu sagen, von euch hätte ich gerne dieses Buch, schickt man die Bestellung zwar ab, setzt aber die anderen besitzenden Bibliotheken als weitere Empfänger, sodass die Bestellung, sollte das Buch in der ersten Bibliothek nicht vorhanden sein, an den nächsten in der Reihe automatisch weitergeleitet wird. So entsteht ein gut funktionierendes System aus zusammenarbeitenden Bibliotheken in ganz England. Das sind eigentlich die wichtigsten Merkmale der Fernleihe hier und ich werde definitiv noch versuchen, an ein Anschauungsexemplar zu gelangen. Um vier durfte ich dann unerwartet früh Feierabend machen, und meinen Schirm angriffslustig in der Hand haltend stürmte ich dann zur Tür raus - und wurde vom hellen Sonnenschein, wohligen Wärme und einem nicht ganz so kalten Lüftchen überrascht. Ich verstand die Welt nicht mehr. Lachend meinte meine Kollegin, dass das eben England sei - das Wetter sei unberechenbar. Also machte ich mich in meinen immer noch quietschenden Schuhen auf den Heimweg, genoss die Sonne und summte fröhlich vor mich hin, da es nun nur noch knappe 9 Tage sind, bis ich wieder zu Hause bin. Im Haus meiner Gasteltern angekommen, bat ich meine Gastmutter, meine Turnschuhe doch für einen Weile in den Trockner zu werfen, damit ich sie morgen wieder anziehen konnte. Sie stopfte sie also in einen Kissenbezug, ab damit in den Trockner und als ich sie eine halbe Stunde später auf meiner Heizung vorfand, traf mich der Schlag. Die waren eingegangen! Die Sohle lässt sich nun wunderbar abziehen und unter das Stoffbett gucken, und allgemein ist der ganze Schuh wohl eingelaufen - denn an beiden Schuhen steht rund herum das Gummi ab. Sieht wirklich interessant aus. Ich hoffe also, dass es nicht mehr regnet, denn diese Schuhe sind definitiv nicht mehr wasserfest. In der Bibliothek werde ich dann dank des Teppichbodens eben nur noch die hohen Schuhe anziehen, nachdem meine Sneakers auch bereits den heldenhaften englischen Straßentod gestorben sind - nur noch zum durch die Gegend laufen zu gebrauchen. Beide Schuhe werden also definitiv nicht zusammen mit mir die Heimreise antreten. Wohin die mich überall begleitet haben.. :) Also drückt mir die Daumen, dass ich keine nassen Füße bekomme und auch nicht krank werde - wäre doch sehr schade! Ich wünsch euch jetzt noch einen schönen Abend und eine gute Nacht. Eure Isabel <3 PS: Hier gibt es mein Lieblingslied des Tages - ich hoffe, der Link funktioniert auch in Deutschland! http://www.youtube.com/watch?v=MhKX3_XvUfo

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